Notarin Esther Czasch

Rechte und Pflichten von Bauherr und Bauunternehmer, wenn die Baustelle wegen der COVID-19-Epidemie (Coronavirus) eingestellt wird

Rechte und Pflichten von Bauherr und Bauunternehmer, wenn die Baustelle wegen der COVID-19-Epidemie (Coronavirus) eingestellt wird

In immer mehr Bundesländern kommt es zu Allgemeinverfügungen und Erlassen, die zum Schutze und der Verhinderung einer Verbreitung des Virus eine größere Anzahl an Menschenaufenthalten oder -kontakten verbieten. Wenn aber eine laufende Baustelle, auf der sich ebenfalls eine Vielzahl an Menschen aufhalten, wegen eines solchen Erlasses eingestellt werden muss und es zu einem Baustopp kommt, stellt sich die Frage nach Möglichkeiten und Rechten der Betroffenen. Solch ein Baustopp hat nicht nur eine Bauverzögerung zur Folge, sondern auch finanzielle Fragen. Was ist dabei zu beachten? Wie verhält man sich am besten? Lesen Sie das hier nach!

Nach Mitteilung des Robert Koch-Institutes sind inzwischen in allen Bundesländern Infektionsfälle mit dem neuen Corona-Virus (SARS-CoV-2) bestätigt worden (Stand: 15.03.2020). Zwischenzeitlich gibt es auch in Deutschland erste Todesfälle. Eine tagtägliche Übersicht über die aktuelle Statistik und Handlungsempfehlungen können auf der Homepage des Robert Koch-Institutes (www.rki.de) nachgelesen werden.

Da die Behörden auch in Deutschland nach dem Beispiel anderer europäischer Länder Massenveranstaltungen untersagen und größere Menschenmengen verhindern, sind die Auswirkungen der COVID-19-Epidemie zunehmend auch in der Wirtschaft und der Baubranche spürbar.

Rechtliche Probleme bei laufenden Bauvorhaben

Eine praktische Folge, die schon jetzt spürbar ist, sind Liquiditätsengpässe bei Materiallieferungen oder Arbeitskräften aufgrund von Quarantänemaßnahmen. Das kann zu einem Stillstand oder einer Verlangsamung der Baustelle führen. Denkbar ist auch, dass ganze betroffene Gebiete abgeriegelt werden und Baustellen für Auftragnehmer nicht mehr erreichbar sind. In all diesen Fällen stellt sich die Frage, welche rechtlichen Auswirkungen diese Störungen im Bauablauf haben.

Zunächst ist zu betonen, dass solche Fällen hierzulande eine seltene Erscheinung darstellen. Daher gibt es auch in der Rechtsprechung bisher keine vergleichbaren Entscheidungen. Bevor aber ein Gericht hierüber entscheidet, werden die Parteien meistens schon vorab vertragliche Vereinbarungen treffen, um Schwierigkeiten zu umgehen und für beide Seiten eine Lösung zu finden.

Doch was, wenn eine solche Regelung nicht gefunden werden kann oder es aufgrund behördlicher Maßnahmen tatsächlich dazu kommt, das der Auftraggeber dazu gezwungen wird, die Baustelle „dicht“ zu machen? Hier die wichtigsten Fragen und Antworten.

Frage: Haftet der Auftragnehmer für Behinderungen aufgrund von Lieferengpässen?

Sofern es keine abweichenden vertraglichen Abreden der Parteien gibt, fällt die Materialbeschaffung in den Verantwortungsbereich des Auftragnehmers. Unterlässt er diese schuldhaft, hat der Auftraggeber/Bauherr einen Schadensersatzanspruch für die verzögerungsbedingt entstandenen Kosten. Dies setzt aber eine schuldhafte Pflichtverletzung des Auftragnehmers voraus. Beruht die fehlende Ausstattung mit Material auf höherer Gewalt, fehlt es an einer schuldhaften Pflichtverletzung.

Bei Vereinbarung der VOB/B bestimmt § 6 Abs. 2 Nr. 1 c) zusätzlich, dass bei höherer Gewalt oder anderer, für den Auftragnehmer unabwendbarer Umstände, die Ausführungsfristen verlängert werden.

Doch was ist höhere Gewalt? Höhere Gewalt wird allgemein als ein von außen einwirkendes und objektiv unabwendbares Ereignis definiert. Von dieser Definition werden grundsätzlich auch Epidemien – wie das neuartige Corona-Virus – erfasst. Eine „höhere Gewalt“ kann aber nur dann angenommen werden, wenn das für die Baustelle bestimmte Material auch tatsächlich nicht lieferbar ist. Dies erfordert eine genaue Prüfung, ob der leere Lagerbestand tatsächlich auf das Virus zurückzuführen ist oder auf mangelhafter Planung bzw. nicht ausreichenden Bestellungen beruht. Denn sobald dem Auftragnehmer ein Verschulden anzulasten ist, liegt keine „höhere Gewalt“ vor. Des Weiteren ist Vorsicht geboten, wenn Materialien doch noch – jedoch zu einem viel höheren Preis – beschafft werden können. Nach der Rechtsprechung fallen auch exorbitante Preissteigerungen in die Risikosphäre des Auftragnehmers, sodass nicht ohne weiteres von einer Störung der Geschäftsgrundlage, die zur Anpassung des Vertrages führen würde, ausgegangen werden kann. Was dem Auftragnehmer aber im Einzelfall zuzumuten ist und wie viel mehr er ggf. für Material zahlen muss, hängt von der Würdigung des Gerichts je nach Einzelfall ab.

Auch der Ausfall eines Nachunternehmers des Auftragnehmers aufgrund von Quarantänemaßnahmen ohne die Möglichkeit der Ersatzbeschaffung kann als „höhere Gewalt“ zu werten sein und damit unverschuldet. Die bloße „Angst“ vor dem Virus oder eine kostenintensive Ersatzbeschaffung sind keine Gründe für ein Fernbleiben von der Baustelle. In diesen Fällen kann sich der Auftragnehmer nicht auf höhere Gewalt berufen. Er muss weiterhin tätig sein und mit seinen Mitarbeitern auf der Baustelle erscheinen.

Frage: Was muss der Bauherr als Auftraggeber tun oder unterlassen?

Den Bauherren treffen bei dem Bauablauf auf der Baustelle bestimmte Mitwirkungspflichten bzw. -obliegenheiten. So hat er bspw. das Baugrundstück ausführungsreif zur Verfügung zu stellen, die Ausführungsunterlagen zu übergeben (was auf einen Bauleiter übertragen werden kann), öffentlich-rechtliche Genehmigungen herbeizuführen, etc. Kann der Auftraggeber bspw. das Baugrundstück aufgrund einer behördlichen Anordnung nicht zur Verfügung stellen, dürfte ein Ersatzanspruch des Auftragnehmers wegen Behinderung daran scheitern, da die behindernden Umstände nicht in die Mitwirkungssphäre des Auftraggebers fallen sondern von dritter Seite angeordnet wurden. Da es hierzu aber bislang noch keine geklärte Rechtsprechung gibt, kann dies durchaus anders gesehen werden.

Frage: Kann der Auftraggeber die Bauausführung aufgrund eines Liquiditätsengpasses stoppen?

Aufgrund Liquiditätsschwierigkeiten kann der Auftraggeber gezwungen werden, einen Baustopp anzuordnen, wenn er in finanzielle Notlage gerät, weil das Material unverhältnismäßig teuer angeboten wird oder er die von ihm beauftragten Unternehmer vor Ort nicht unnütz bezahlen will. Hier dürfte eine Berufung des Auftraggeber allerdings verwehrt sein, da im Wirtschaftsverkehr der Grundsatz gilt „Geld hat man zu haben“. Die Ursache für eine mangelnde Liquidität ist unerheblich. Das Liquiditätsrisiko trägt grundsätzlich der Auftraggeber.

Frage: Können Bauverträge aufgrund der Corona-Epidemie gekündigt werden?

Sowohl nach den Vorschriften des BGB als auch der VOB/B haben beide Parteien ein sog. außerordentliches Kündigungsrecht, § 648a BGB und § 8 Abs. 3 VOB/B. Hierzu muss aber der kündigenden Partei unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur Fertigstellung des Werks nicht zugemutet werden. Diese Frage der Zumutbarkeit ist aufgrund der Vielzahl möglicher Fallgestaltungen nicht pauschal zu beantworten und muss im Einzelfall einer eingehenden Prüfung unterzogen werden. Es sollte jedoch nicht übereilt eine außerordentliche Kündigung ausgesprochen werden, sondern versucht werden, eine vorherige Kontaktaufnahme zu erreichen, um eine Lösung für beide Seiten zu erreichen. Denn sollte die ausgesprochene außerordentliche Kündigung sich im Ergebnis als unwirksam darstellen, wird diese in eine sog. freie Kündigung umgedeutet werden mit der Folge, dass der Auftragnehmer grundsätzlich die volle Vergütung verlangen bzw. umgekehrt seinerseits die Kündigung aus wichtigem Grund aussprechen kann.

In der VOB/B ist als Besonderheit in § 6 Abs. 7 Satz 1 ein Kündigungsrecht für beide Parteien vorgesehen, wenn die Unterbrechung der Bauausführung länger als drei Monate dauert. Dies jedoch nur, wenn die VOB/B vereinbart wurde. Bei einer solchen Kündigung ist der entgangene Gewinn der jeweils anderen Partei gemäß § 6 Abs. 6 Satz 1 VOB/B nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit zu erstatten.

Frage: Kann man sich versichern? Welche Versicherungen werden angeboten?

Sowohl für Auftraggeber als auch für Auftragnehmer gibt es die Möglichkeit, sich finanziell abzusichern. Für den Auftragnehmer kann der Betriebsunterbrechungsschaden, hervorgerufen durch das Fortlaufen der betrieblichen Fixkosten und dem gesamten oder teilweisen Ausfall von Umsatzerlösen, oft größer als der Sachschaden an sich ausfallen. Grundsätzlich können alle in der Sachversicherung versicherbaren Gefahren in einer sog. Betriebsunterbrechungsversicherung versichert werden. Ist ein Sachschaden versichert, so ist auch die daraus entstehende Betriebsunterbrechung versichert. Umgekehrt sind die bei den Sachdeckungen ausgeschlossenen Gefahren und Schäden auch in der Betriebsunterbrechungsversicherung nicht versichert. Allgemein lässt sich sagen, dass versicherbare Gefahren, die zu existenzbedrohenden Schäden führen können, auch große Betriebsunterbrechungsschäden nach sich ziehen können.

Aber auch der Bauherr kann sich mit einer sog. Bauleistungsversicherung schützen. Die Bauleistungsversicherung deckt Beschädigungen und Zerstörungen an Bauleistungen und Baumaterial ab, die während der Bauzeit unvorhergesehen eintreten (z.B. ungewöhnliche Witterungseinflüsse, mutwillige und vorsätzliche Beschädigungen von Bauteilen durch Unbekannte, fahrlässiges Handeln von Bauarbeitern). Diese kann man um eine sog. Bauleistungs-Betriebsunterbrechungsversicherung ergänzen. Diese Versicherung gibt es in Deutschland erst seit einigen Jahren. Sie deckt den Vermögensschaden ab, der durch die verspätete Fertigstellung eines Bauvorhabens infolge eines Sachschadens entstehen kann. Abgedeckt sind die finanziellen Folgen einer Bauzeitverzögerung durch einen versicherten Sachschaden. Dazu gehören z.B.: Ausfall an Mieteinnahmen, Ansprüche der Mieter für Einlagerungskosten sowie Hotelkosten, erhöhte Kosten für die Baufinanzierung, Verzugsschäden der Mieter für Löhne und Gehälter. Natürlich gibt es wie bei jeder Versicherung Ausschlüsse. Schäden durch Krieg, Kernenergie, innere Unruhen, Terrorakte, Beschlagnahme oder sonstige hoheitliche Eingriffe, Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers werden nicht abgedeckt.

Handlungsempfehlungen

Wenn gerade der Abschluss von Verträgen vorbereitet wird und diese alsbald in die Tat umgesetzt werden sollen, empfehlen sich vertragliche Vereinbarungen zu höherer Gewalt bzw. außergewöhnlichen Ereignissen durch sog. „Force-Majeure-Klauseln“. Aufgrund der momentan unklaren Auswirkungen der Corona-Epidemie wird sich mehr und mehr die Frage stellen, ob es unvorhersehbar ist, dass Lieferengpässe, Preissteigerungen, Arbeitsausfälle, etc. eintreten werden. Der genaue Zeitpunkt, ab dem die Gerichte nicht mehr von einer Unvorhersehbarkeit entsprechender Beeinträchtigungen aufgrund der Corona-Epidemie ausgehen, lässt sich derzeit nur schwer abschätzen.

In laufenden Verträgen muss die Lage entsprechend der genannten gesetzlichen Normen berücksichtigt werden. Da viele Auftragnehmer durch einen Stillstand der Baustelle auch in finanzielle Schieflage kommen, kann dies durchaus ein erhöhtes Insolvenzrisiko zur Folge haben. Dann treffen den Auftraggeber/Bauherren nicht nur die Frage der Verzögerung der Baustelle, sondern auch, wer die Arbeiten bei einer Insolvenz eines Auftragnehmers fortführt und wie der Schaden möglichst gering gehalten werden kann. Allgemein kann nur empfohlen werden, die Situation frühzeitig zu besprechen und für beide Seiten angemessen zu regeln, damit die Folgen abgemildert werden können.

Sofern Sie weitergehende Fragen haben oder individuelle Beratung bzw. Beurteilung Ihrer Situation wünschen, sprechen Sie uns gerne jederzeit an.

Veröffentlichung: 15.03.2020

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